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Die Macht der Perspektive

Sonja_H
Vielschreiber
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Die Macht der Perspektive

Autor: Sony Europe

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Von den Pionieren der Kinematographie wie Hitchcock, Kubrick und Spielberg bis hin zu modernen Innovatoren wie Wes Anderson, Darren Aronovsky und den Coen Brothers gilt: Die Manipulation von Perspektive und Erzählperspektive ist maßgebend für die Gestaltung von Charakteren und Umgebung sowie für die Schaffung der Zyklen aus Spannung und Auflösung, die die Geschichte eines Films vorantreiben.

 

In den 1950er Jahren behaupteten Filmtheoretiker wie Andre Bazin und Alexandre Astruc, dass großartige Filme eine starke Geschichte mit einem klaren Fokus und längere Szenen mit kraftvoller visueller Ästhetik erfordern. Diese Philosophie verdeutlicht, dass die Konstruktion der Perspektive und die Kameraeinstellungen eng mit der komplexen Bearbeitung, der Tongestaltung und programmatische Musik verknüpft sein müssen, um starke emotionale Reaktionen des Publikums zu erzeugen.

 

Hitchcock und der Dolly-Zoom

 

In Hitchcocks Klassiker „Vertigo“ von 1958 wurde erstmals der Dolly-Zoom eingesetzt, eine perspektivisch verzerrte Technik, bei der die Kamera sich vom fokussierten Objekt entfernt und gleichzeitig heranzoomt. Spielberg nutzte denselben Effekt in „Der weiße Hai“, wo er das Entsetzen in der Reaktion von Polizeichef Brody herausstreicht, als er schließlich einen Hai-Angriff miterlebt.

 

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Der Dolly-Zoom ist ein unverkennbares und wirkungsvolles Hilfsmittel für spannende Momente. Es gibt aber auch subtilere filmische Techniken, die mit unserer Wahrnehmung spielen. Beachtenswerte Beispiele sind Kamerafahrten, bei denen die Kamera näher an das Objekt heranfährt und dabei den Hintergrund verschwimmen lässt, um einen bedeutenden Punkt in der Geschichte des Charakters hervorzuheben, sowie seitliche Kamerafahrten, die häufig zwei miteinander sprechende Personen verfolgen, um der Szene ein Gefühl der Bewegung und mehr Ausdruck zu verleihen.  Ein weiterer klassischer und häufig genutzter Effekt ist die Verwendung von Weitwinkelobjektiven, mit deren Hilfe die Umgebung im Hintergrund detailreicher erscheint, die Charaktere im Vordergrund aber trotzdem die Szene dominieren.

 

Die Macht des Blickwinkels

 

Neben den technischen Hilfsmitteln wie Objektive und Kamerafahrten stellt sich die grundlegende Frage, wo die Kamera sich befinden soll. Die Positionierung der Kamera spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, das Publikum mit der Vision des Regisseurs emotional zu fesseln und beeinflusst wesentlich die Stimmung und Kraft des Films.

 

Eine erhöhte Kameraperspektive, die auf die Person im Fokus herabblickt, verleiht der Person im Vordergrund automatisch Dominanz über die Person, mit der er spricht. Diese Perspektive kann auch genutzt werden, um klaustrophobische Gefühle zu verstärken, wenn der Rücken der Person im Vordergrund fast das gesamte Bild ausfüllt und der Person im Fokus nur wenig Raum lässt.  Weitere bewährte Techniken, die die Erzählperspektive betreffen, sind die Untersicht, die den Personen Stärke und Selbstvertrauen und ein wenig Überlegenheit verleiht, oder die Aufsicht auf Personen, mit der kindliche Unschuld oder Unterlegenheit dargestellt werden kann.

 

Eine Panoramaaufnahme mit einer einzelnen Figur in der Ferne kann Einsamkeit und Abgeschiedenheit ausdrücken, die Großaufnahme des emotionsgeladenen Gesichts einer Person kann eine empathische oder unbehagliche Reaktion des Publikums bewirken. Die Kunstfertigkeit der Filmemacher hängt davon ab, wie sie die Kamera einsetzen, um die Leistung Ihrer Darsteller zu katalysieren und die Empfindungen des Zuschauers zu manipulieren, um genau die Geschichte zu kreieren, die sie erzählen möchten.

 

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Neuentwicklungen bei der Kameraperspektive kombinieren Aufnahmen mit erzwungener Perspektive mit Computeranimationen, um die Größenunterschiede zwischen den Charakteren hervorzuheben. Dies ist naheliegend in Fantasy-Filmen wie „Herr der Ringe“, wo zu klein geratene Hobbits zusammen mit gewaltigen Zauberern und anderen Riesen in derselben Szene zu sehen sind.  Es gibt auch Beispiele, bei denen Regisseure eine Veränderung des Bildseitenverhältnisses als dramaturgisches Mittel eingesetzt haben.  Xavier Dolans Film „Mommy“ von 2014 wurde mit einem Bildseitenverhältnis von1:1 aufgenommen (statt dem in modernen Filmen üblichen Verhältnis von 1,85:1 oder 2,35:1), um eine größere Intimität mit den Charakteren zu erreichen, in deren Leben wir hineinschauen.

 

Montagetheorie

 

Der russische Regisseur Sergei Eisenstein, berühmt für seine großangelegten historische Filmepen, war ein großer Befürworter der Montagetheorie, bei der durch das Aneinanderfügen von aufeinander bezogenen Bildern eine kraftvolle Kollage entsteht, die die Emotionen des Publikums manipuliert. Diese Technik zieht eher Nutzen aus der intellektuellen Perspektive des Publikums als aus der mithilfe von fotografischen Tricksereien erzeugten visuellen Perspektive.  

 

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Hitchcock behauptete ebenfalls, dass die gesamte Filmerstellung aus Montage bestehe. Er erklärte dies folgendermaßen: Wenn auf die Großaufnahme des Gesichts eines Mannes das einer ein Baby stillenden Frau folgt und anschließend wieder die Aufnahme des Mannes, wie er lächelt, schätzt das Publikum ihn als einen wohlwollenden Herren ein. Ersetzt man jedoch die stillende Mutter durch eine junge Frau im Bikini, wird der Mann sofort als unanständiger alter Mann wahrgenommen.  Mit diesen einfachen psychologischen Tricks beeinflussen Regisseure unsere emotionale Wahrnehmung der Handlung.

 

Die wahre Magie des Kinos besteht darin, dass die psychologische Trickkiste der Regisseure, die streng analytisch betrachtet technisch und manipulativ erscheinen kann, in der Praxis nur unterbewusst wahrgenommen wird. Tatsächlich ist unser Wahrnehmungsverhalten seit der Kindheit programmiert. Wir entschlüsseln nach einer festverdrahteten Logik die wörtliche Bedeutung von allem, was wir sehen und vermeiden das Abstrakte. In derselben Weise, wie das innere Wissen über die Musiktheorie einen Zuhörer nicht daran hindert, von einer Melodie emotional berührt zu sein, wird auch die emotionale Kraft des Kinos uns weiter in seinen Bann ziehen – ungeachtet der technischen Tricks, die unter unserer Wahrnehmungsschwelle ablaufen.